Am 08.10.2021 verabschiedete die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Empfehlungen zur Einführung eines Unterrichtsfaches Deutsche Gebärdensprache (DGS) im Wahl(pflicht)bereich1. Diese beinhalten, dass DGS zukünftig an Schulen der Sekundarstufe I als wählbare Fremdsprache angeboten werden soll. Schüler*innen bekommen also die Möglichkeit, neben Latein oder Spanisch auch die Deutsche Gebärdensprache zu erlernen. Die KMK-Empfehlungen sollen den Bundesländern Hilfestellungen für die Erarbeitung eines entsprechenden DGS-Lehrplans geben.2
Ein Schritt in die richtige Richtung
“Wir betrachten die Verabschiedung der Empfehlungen der KMK als einen Schritt in die richtige Richtung. Die nun auf den Weg gebrachte Einführung der DGS als Wahl(pflicht)fach für meist hörende Schüler*innen ist längst überfällig”, betont Knut Weinmeister, tauber Linguist, Gebärdensprach-Pädagoge, Dolmetscher und Mitbegründer von manimundo.
Hörende Schüler*innen erhielten durch die Umsetzung der KMK-Empfehlungen in Zukunft die Möglichkeit, mit der DGS eine Fremdsprache aus dem eigenen Land zu lernen und darüber hinaus ein Bewusstsein für die Sprache, Kultur und Lebenswelt der Gebärdensprach-Gemeinschaft zu entwickeln, so Weinmeister weiter. Zudem könnten die Schüler*innen durch die DGS ihre visuellen, kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten verbessern und sich besser mit ihren tauben und hörbehinderten Mitschüler*innen verständigen – wodurch sie nicht zuletzt einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer inklusiven Gesellschaft leisten würden.
Hörbehinderte Kinder haben in der Regel hörende Eltern. Deshalb ist in den meisten Familien kein natürlicher DGS-Spracherwerb sichergestellt. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, dass taube und hörbehinderte Schüler*innen, die bilingual mit DGS aufwachsen, von der ersten Klasse an Zugang zu DGS-Unterricht bekommen ‒ unabhängig davon, ob sie in Fördereinrichtungen oder im inklusiven Unterricht beschult werden. Sie benötigen neben einer soliden DGS-Kompetenz das Wissen über die eigene Sprache (grammatikalisches Regelwerk, sprachliche Stilmittel, Kultur der Gebärdensprach-Gemeinschaft) für die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Zudem zeigen zahlreiche Studien, dass eine früh angeeignete Gebärdensprach-Kompetenz den kontrastiven Erwerb der deutschen und weiterer Schriftsprachen fördert.
Hier greift die Empfehlung der KMK nicht weit genug
“Hier greifen die Empfehlungen der KMK nicht weit genug, da sie zum einen mit der Begrenzung auf die Sekundarstufe I die Grundschule und die Sekundarstufe II ausklammern, und zum anderen den Bereich der bilingualen Bildung tauber und hörbehinderter Kinder nicht in den Blick nehmen, in deren Rahmen DGS als Pflichtfach und auch Unterricht in DGS wichtige Voraussetzungen für den schulischen Erfolg darstellen”, stellt Weinmeister klar.
Die flächendeckende Einführung eines muttersprachlichen Unterrichtsfachs DGS für taube und hörbehinderte Schüler*innen und ihre hörenden Mitschüler*innen ist eine immer noch unerfüllte Forderung von zahlreichen Expert*innen und Fachverbänden3. Bereits 2016 hatte das EU-Parlament mit seiner “Entschließung zu Gebärdensprachen und professionellen Gebärdensprachdolmetschern (2016/2952(RSP))”4 in den Punkten 21 bis 26 die EU-Mitgliedsstaaten dazu aufgefordert, die nationalen bzw. regionalen Gebärdensprachen als Unterrichtsfach für hörbehinderte Kinder einzuführen, sowie Gebärdensprache als (Fremd-)Sprachenfach zu etablieren. Ebenso ist das Recht auf DGS-Unterricht für taube und hörbehinderte Kinder seit 2006 in der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 24 Abs. 3 Recht auf Bildung in Gebärdensprache5) verankert.
Empfehlungen müssen nun auf Länderebene mit Expert*innen und Betroffenen-Vertretungen schnell in die praktische Umsetzung kommen
Aufgrund des deutschlandweit bestehenden eklatanten Mangels an Gebärdensprach-Pädagog*innen ist es für die einzelnen Bundesländer nicht einfach, DGS-Lehrpläne zu entwickeln und den Unterricht mit entsprechend qualifiziertem Fachpersonal durchzuführen. Weinmeister appelliert daher an die Kultusministerien der Länder: “Nutzen Sie die bereits vorhandenen Erkenntnisse wissenschaftlicher Studien sowie das Know-How der Landesverbände der Gehörlosen und der Fachverbände, um gemeinsam mit Expert*innen und den Betroffenen-Vertretungen Ihren länderspezifischen DGS-Lehrplan zu entwickeln.”
manimundo macht sich seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 2016 für die Verbreitung der Gebärdensprache stark und tritt somit auch für eine Bewusstseinsbildung über diese lebendige Sprache der Gehörlosengemeinschaft und damit für eine inklusive Gesellschaft ein.
“Wir können auf jahrelange Erfahrung im Bereich der Gebärdensprach-Lehre zurückblicken ‒ ob im digitalen Online-Selbstlernkurs oder in speziell auf bestimmte Zielgruppen abgestimmten Gruppenangeboten. Und der Lernerfolg unserer Kursteilnehmer*innen bestätigt das Lernkonzept unserer Kurse, die wir auf Basis der Kompetenz-Niveaustufen des GER (Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen) entwickelt haben. Unsere manimundo Gebärdensprachkurse speziell für Schulklassen6 können für die praktische Umsetzung des DGS-Unterrichts hilfreich sein, und wir laden die Kultusministerien herzlich ein, hierüber mit uns in einen Austausch zu treten”, wendet sich Weinmeister abschließend direkt an die Verantwortlichen in den Ministerien.
Ein wichtiger Schritt ist durch die Empfehlungen der KMK gemacht. Nun ist entscheidend, dass sich die Kultusministerien möglichst bald an einen Tisch mit den Expert*innen setzen, um diese Empfehlungen schnell mit Leben zu füllen. Der Weg in Richtung einer inklusiven Gesellschaft ist geebnet, jetzt muss er nur noch begangen werden.
Fußnoten
1 Empfehlungen der KMK zum Wahl(pflicht)fach Deutsche Gebärdensprache (DGS): https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2021/2021_10_07-Gebaerdensprache.pdf
2 Pressemitteilung der KMK: https://www.kmk.org/presse/pressearchiv/mitteilung/kmk-sieht-schulischen-regelbetrieb-im-schuljahr-20212022-in-allen-laendern-gesichert.html
3 Weiterführende Informationen dazu in der Broschüre “Gebärdensprache umsetzen!”: https://www.sprach-schatz.org/nie-wieder-sprachlos-gebaerdensprache-umsetzen-info-broschuere/
4 Entschließung des EU-Parlamentes zu Gebärdensprachen von 2016: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016IP0442&from=EN
5 Artikel 24 der UN-Behindertenrechtskonvention: https://www.lwl.org/lja-download/datei-download-schulen/UN_Konvention_fuer_die_Rechte_von_Menschen_mit_Behinderungen_Inklusion/Inklusive_Beschulung/Tagungsdoku/1288330256_0/UN-Konvention_Artikel_24.pdf
6 Kursangebot von manimundo für Schulklassen: https://manimundo.de/unsere-angebote/schulen-und-paedagog_innen/
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